Anton Wildgans                     Die Efeuranke

1881 – 1932

Der Efeu dort am gotischen Palaste

Verschlängelt sich zum marmornen Balkone,

Sein Schattenwesen gleicht einem Spione,

Den irgendwie ein Rachewunsch erfaßte.

 

Du lauerst, ob er wachsend weitertaste,

Um klarzuwerden, wer das Schloß bewohne

Und ob sich wirklich ein Verrat verlohne:

Er winkt ja schon mit einem freien Aste!

 

Nun blickt der Mond um eine hohe Ecke:

Und sieh, ein Weib erscheint hinter den Scheiben,

Was hält es dort so bleich an einem Flecke?

 

Der Efeu muß noch viele Zweige treiben,

Damit er seinen Kundschaftsweg vollstrecke:

Die Dinge sterben ab, die Rätsel bleiben.

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Heiliger Herbst

1881 – 1932

 

I.

 

So gingen wir selbander Hand in Hand

Den schmalen Weg, den lieben Berg empor,

Und oben winkte Zinne, Turm und Tor,

Umrauscht, umbauscht von roter Wipfel Brand.

 

Doch unten lag das herbsterblichne Land:

Die Ebene im dünnen Silberflor

Von Blond, das noch nicht alles Gold verlor,

Und lose drin des Stromes blaues Band.

 

Da sah ich selig auf dein junges Haar

Und fühlte deiner Hände warmes Leben,

Und wie in ihnen zehnfach Seele war

 

Von jedes Fingers eigenem Erbeben –

Und deine Augen sprachen lieb und klar,

Daß alles dies mir zärtlich hingegeben.

 

 

II.

 

Und oben hauste frech und froh der Wind,

Zauste das Laub und feste scharf die Matten –

Wir aber, klug in einer Mauer Schatten,

Rasten im Rasen froh, wie Kinder sind.

 

Tief unten graut die Stadt! – Von Dünsten blind

Glimmen die kuppeln, Dächer und die matten

Fenster, indessen aus den nimmersatten

Schloten und Essen brauner Qualm zerrinnt –

 

Mich lockst du nimmer, kauernder Koloß,

Trügender Tröster rastloser Gehirne!

Was ich von dir gelitten und genoß,

 

Bin ich wie eine mürbe Maske los

Und lege dankbar die befreite Stirne

In dieses Kindes mütterlichen Schoß.

 

 

III.

 

So lag ich lang, tief atmend das Arom

Des jungen Leibes und dies reiche Schweigen

Und hörte deine Seele niedersteigen

Zu deines Schoßes ahnungsvollem Dom.

 

So klein bin ich, ein Mensch nur, ein Atom

Und ausgeschaltet aus dem ewigen Reigen,

Wenn nicht durch dich, was mir als Tiefstes eigen,

Einmünden darf in alles Lebens Strom...

 

Der Abend kam, wir schritten in das Tal –

Nie war der Tag so feierlich verklungen.

Wie Glockentöne, ernst und keusch verschlungen,

 

Sangen die Seelen innigsten Choral.

Da lauschten wir und nahmen tiefbezwungen

Der höchsten Liebe heilig Abendmahl.

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Gelöbnis des Vaters

1881 – 1932

Nie will ich mit dem Väterwort dich stören:

Dies brauchst du nicht, weil ich es nicht besaß! –

Was immer meine Zeit auch anders las,

Für deine sollst du keinen Vorwurf hören.

 

Heilig der Jugend Recht, sich zu empören!

Meist ist von edelstem Geblüt ihr Haß,

Manch richtig Maß in ihrem Übermaß,

Viel guter Sinn in ihrem Selbstbetören.

 

Oft blieb dem Manne Reu und Leid erspart,

Hielt er der längst verjährten Knabenart,

Die man so gern belächelt, beßre Treue.

 

Und ganz zuletzt, wenn erst verbraust der Geist

Des Widerspruchs, merkt man ja doch zumeist,

Wie neu das Alte und wie alt das Neue.

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Abschied vom blauen Rauch

1881 – 1932

Heut nachts erwacht’ ich jäh, das Herz stand still!

Dann aber hub ein Hämmern, ein Pochen,

So ungefüg, als würde eingebrochen

Im Purpurschrein des Lebens. – Wie Gott will.

 

Es meint’ der Arzt zu mir: Du rauchst zuviel,

Solch sinnlos Fröhnen bleibt nicht ungerochen! –

Und hat mir lange weise zugesprochen

Von meines Daseins Pflicht und ernstem Ziel.

 

Du blauer Rauch, berauschendes Umfließen,

Aus dem mir Ahnung und Gedanke quillt,

So muß ich deiner spärlicher genießen

 

Und ganz entsagen, wenn es einmal gilt. –

Wärst nicht das erste duftende Gebild,

Von dem ich habe Abschied nehmen müssen.

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Besinnung

1881 – 1932

O selig, starker Arme Werk zu tun,

Ein Ding zu formen mit gewandten Händen

Und jeden Tag ein Greifbares vollenden

Und abends müde sein und auszuruhn.

 

Es kann der Geist im Fertigen von Schuhn

Tiefres Genügen finden und Bewenden

Als in des Denkens höchsten Gegenständen –

O selig, starker Arme Werk zu tun!

 

Wir andern fügen fiebernd Traum an Traum

Zum Babelturme schwärmender Gedanken,

Im Geist schon ragend an den fernen Saum

 

Goldener Wolken, und erkennen kaum

Von des Gerüstes allerhöchsten Planken

Die liebe Erde, Menschen, Tier und Baum.

 

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Herbe Erkenntnis

1881 – 1932

 

I.

 

Wie Freunde sich nur allzuleicht entzwei’n

Durch Weiberränkespiel – und tausendfach

Geschieht dies zu der Männer Not und Schmach! –

So leicht der Erde fremd wird Menschensein.

 

Dir, aufgewachsen zwischen Häuserreihn,

Ist Element nur lästig Ungemach,

Regen und Wind nur Anlaß für ein Dach

Und bloß Beleuchtung Mond und Sonnenschein.

 

Daß Hagel wüstete in voller Saat,

Daß Frost der Trauben süßes Gut verbrannt,

Weißt du vom Preis, den Wein und Brotfrucht hat,

 

Und ahnst ihn kaum, der jeden Stock gekannt

Und rauher Hand die erde aufgepflügt,

Die Erde, die sein Tagwerk oft betrügt.

 

 

II.

 

Und doch ist sie nur sein, die Erde, sein!

Nicht dein, du Buhler, der sie bloß besucht,

Wie man durch Zufalll einkehrt, auf der Flucht

Aus lärmenden Getriebes Gier und Pein.

 

Und was du schwärmend träumst in sie hinein,

Ist eitel Nichts, gemessen an der Wucht,

Die keinen andern Segen kennt als: Frucht!

Und keinen Fluch denn: Mißwuchs, Unkraut, Stein!

 

Nur jenem frohnt sie, der mit hartem Stoß

Ihr täglich neue Muttermünder schafft

Und sie besamt mit seines Lebens Saft:

 

Mit Schweiß und Blut! Nur ihn erfreut ihr Schoß!

Für Schwärmers spielerischen Zeitvertreib

Verweigert sie den Ernst gewohnten Leib.

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Seliger Tag

1881 – 1932

Heut ist der Tag vom Lerchentrillern licht.

Es glänzt empor wie silberne Fontänen,

Zerglüht, zersprüht in lauter Freudentränen,

Netzend des Frühlings blühend Angesicht.

 

Und mir entformt Gedicht sich um Gedicht!

So wollte einst des Jünglings Geber-Sehnen

Mit Gut der Seele Weib und Welt belehnen;

Doch Welt blieb kalt, und auch das Weib kam nicht.

 

Heut freilich lohnt bisweilen Widerklang

Des Mannes herbgewordenen Gesang

Und auch aus Frauenblick grüßt manches Glänzen.

 

Doch ich bin längst mir selber angetraut,

Lausche befreit der Lerchen lichtem Laut

Und bin für jene jenseits aller Grenzen.

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Wandlung

1881 – 1932

In schwerer Krankheit rief der Herr mich an:

Was war mit dir, eh ich dich so gefunden?

Was wirktest du mit den geliehnen Pfunden?

Gib Rechenschaft, was dir dein Mühn gewann! –

 

Da wuchs um mich ein großes Schluchzen an

Von blassen Schatten abgeschiedner Stunden,

In denen ich gewollt und nur empfunden

Und nichts von dem Empfundenen getan.

 

Und plötzlich ward Unendlichkeit der Raum,

Mein Liegen Schweben, und ich sah die Meere,

Die Flüsse frachten, sah mit Korn und Beere,

 

Mit Früchten trächtig Acker, Kraut und Baum,

Und sah und  wachte auf aus solchem Traum

Und hub ein Singen an zu Gottes Ehre.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Helldunkle Stunde

1881 – 1932

Manchmal befällt mich’s, daß ich denken muß,

Ich stürbe bald und ließe ungetan

mein Werk zurück, zu dem ein strenger Plan

Mich rastlos drängt nach höherem Beschluß.

 

Nur dies, nicht eitel Haschen nach Genuß

Klammert mich fest an dieses Leben an,

Das, zwischen Nichts und Nichts, ein schwanker Kahn,

Rasch übersetzen darf der Dinge Fluß.

 

Der ist zu sehr bewegtes Element,

Um, was nicht Licht ist, spiegelnd festzuhalten.

Nur, was sich flammenhaft vom Fleische trennt

 

In schmerzlichem und betendem Gestalten,

Vermag als unser Bildnis fortzuwalten.

Was leuchten soll, muß dulden, daß es brennt.

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Stolzer Rat

1881 – 1932

Tu, was du tuest, für die Ewigkeit

Und immer so, als wenn’s dein Letztes wäre!

Leicht löste schon der Tod für dich die Fähre

Vom dunklen Ufer der Unendlichkeit.

 

Was wär’ dein Werk, wenn es nur für die Zeit,

In der du lebst, und für das bißchen Ehre,

Das es dir bringen mag, geschaffen wäre?

Sein Anteil würde bald Vergessenheit.

 

Auch müßte dich ein jedes Unverstehen

Wie einen schlechten Mimen gleich verbittern,

Lerntest wie er vor deiner Mitwelt zittern,

 

Statt ihr als einem Schauspiel zuzusehen,

Das Gott dir gibt, daß du dem Menschengeist

Durch die Jahrhunderte Sein Zeuge seist.

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Wolken

1881 – 1932

Der Zug der Wolken mahnt mich an den Tod.

Sie wandern von den Meeren her in Heeren

Und müssen zu den Meeren wiederkehren –

So kommt und geht der Menschen Aufgebot.

 

Wolke ist spielend Kind im Morgenrot,

Wird Dunkel, Licht, Erhören und Verwehren,

Ist Schwül und Kühl, Zerstören und Vermehren –

So auch der Mensch: Hold, Unhold, Brot und Not.

 

Und all dies nur für einen Augenblick,

Solange er, vom süßen Licht beschienen,

Sich rühren, wirken darf, beherrschen, dienen,

 

Treibend und doch getrieben vom Geschick.

Dann kommt die Nacht, sein Umriß geht verloren,

Und neue Menschen werden neu geboren.

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Helldunkle Jugend

1881 – 1932

II.

 

In wilden Fiebernächten stand das Leben

An meinem Bett und hielt die kühlen Hände

An meine Stirn, um die die wirren Brände

Bunter Gesichte zuckten. Aufzuschweben

 

Schien schon die Seele mir. Anheimgegeben

Der Schwere lastete der Leib. Die Wände

Des Raumes zersanken in das All. „Das Ende!“

Schrie eine Stimme, furchtbar zum Erbeben.

 

Doch jener Geist, der lächelnd ungetrübte,

Der mich mit seinen Marmorfingern kühlte,

Neigte sich mir, in dem die Nacht schon wühlte,

 

Und lispelte dem todverzückten Ohr:

Noch einmal will ich dein sein, dumpfer Tor,

Tust du in dieser Stunde ein Gelübde ...

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Kammermusik

1881 – 1932

Ein Wintersonntag, traute Abendneige,

Da kommen Freunde zur Musik ins Haus.

Schon packen sie die Instrumente aus,

Ich höre heut’ nur zu und träum’ und schweige.

 

Ans Fenster pocht gefrorenes Gezweige,

Im Ofen summt gedämpftes Sturmgebraus.

Nun wählen sie ein Stück von Mozart aus,

Mein Ältrer spielt statt mir die erste Geige.

 

Wie er die Geige nimmt, die Geige hält!

Seh’ ich mich selbst im Traum? Sind diese herben

Und klaren Töne nur von ihm beseelt?

 

Fühlt dies ein Kind? Kann man sich so vererben?

Da weiß ich tief: Musik bleibt in der Welt,

Musik aus meinem Blut! Und ruhig darf ich sterben.

 

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Heimat

1881 – 1932

So lege du die Hand um meine Schläfen

Und sage meiner Wachheit: Geh’ zur Ruh’ –

Und sage mir: Kind, schließ die Augen zu,

Ich wiege dich, ein Strom, in stille Häfen.

 

Dort weißt du nichts von dir: nicht, daß du bist,

Nicht, daß du wünschest, nur Erfüllung!

Aus deines Denkens brennender Umhüllung

Sinkst du in Kühle, die erquickend ist.

 

Und wachst du wieder auf, so war es ich,

Der Strom, die Häfen und die große Stille.

Und immer wieder treibt, ein Kahn, dein Wille

 

In meine Buchten ein, in Gott, in mich!

Und lockt es wieder dich zu fremden Fahrten,

Zieh aus! Ich bin die Heimat, ich kann warten.

 

 

 

 

 

Anton Wildgans                     Du nennst mich Freund...

1881 – 1932

Du nennst mich Freund! Ich geb’ das Wort zurück –

Doch, liebe Freundin, laß uns nicht vergessen:

Nicht Geist allein ist Menschen zugemessen,

Er ist nur Gottes Licht auf Erdenglück.

 

In seinem Strahle hebt die Tiernatur,

Von der’s Verhängnis wär’ sich zu entfernen,

Den jäh bewußten Blick empor zu Sternen

Und tastest dort nach Gottes Wandels Spur.

 

Was trüber Seele nur ein dumpf Verrichten

Leiblichen Müssens, dessen sie sich schämt,

Im Zwielicht des Geheimnisses verfemt,

 

Dem klaren Herzen ist es Scham mit nichten.

Es hat durch Geist die Dumpfheit überwunden

Und fühlt durch Erdenglück sich Gott verbunden.