1881 – 1932
Der Efeu dort am gotischen
Palaste
Verschlängelt sich zum
marmornen Balkone,
Sein Schattenwesen gleicht einem
Spione,
Den irgendwie ein Rachewunsch
erfaßte.
Du lauerst, ob er wachsend
weitertaste,
Um klarzuwerden, wer das
Schloß bewohne
Und ob sich wirklich ein
Verrat verlohne:
Er winkt ja schon mit einem
freien Aste!
Nun blickt der Mond um eine
hohe Ecke:
Und sieh, ein Weib erscheint
hinter den Scheiben,
Was hält es dort so bleich an
einem Flecke?
Der Efeu muß noch viele Zweige
treiben,
Damit er seinen Kundschaftsweg
vollstrecke:
Die Dinge sterben ab, die
Rätsel bleiben.
1881 – 1932
I.
So gingen wir selbander Hand
in Hand
Den schmalen Weg, den lieben
Berg empor,
Und oben winkte Zinne, Turm
und Tor,
Umrauscht, umbauscht von roter
Wipfel Brand.
Doch unten lag das
herbsterblichne Land:
Die Ebene im dünnen Silberflor
Von Blond, das noch nicht
alles Gold verlor,
Und lose drin des Stromes
blaues Band.
Da sah ich selig auf dein
junges Haar
Und fühlte deiner Hände warmes
Leben,
Und wie in ihnen zehnfach
Seele war
Von jedes Fingers eigenem
Erbeben –
Und deine Augen sprachen lieb
und klar,
Daß alles dies mir zärtlich
hingegeben.
II.
Und oben hauste frech und froh
der Wind,
Zauste das Laub und feste
scharf die Matten –
Wir aber, klug in einer Mauer
Schatten,
Rasten im Rasen froh, wie
Kinder sind.
Tief unten graut die Stadt! –
Von Dünsten blind
Glimmen die kuppeln, Dächer
und die matten
Fenster, indessen aus den
nimmersatten
Schloten und Essen brauner
Qualm zerrinnt –
Mich lockst du nimmer,
kauernder Koloß,
Trügender Tröster rastloser
Gehirne!
Was ich von dir gelitten und
genoß,
Bin ich wie eine mürbe Maske
los
Und lege dankbar die befreite
Stirne
In dieses Kindes mütterlichen
Schoß.
III.
So lag ich lang, tief atmend
das Arom
Des jungen Leibes und dies
reiche Schweigen
Und hörte deine Seele
niedersteigen
Zu deines Schoßes
ahnungsvollem Dom.
So klein bin ich, ein Mensch
nur, ein Atom
Und ausgeschaltet aus dem
ewigen Reigen,
Wenn nicht durch dich, was mir
als Tiefstes eigen,
Einmünden darf in alles Lebens
Strom...
Der Abend kam, wir schritten
in das Tal –
Nie war der Tag so feierlich
verklungen.
Wie Glockentöne, ernst und
keusch verschlungen,
Sangen die Seelen innigsten
Choral.
Da lauschten wir und nahmen
tiefbezwungen
Der höchsten Liebe heilig
Abendmahl.
1881 – 1932
Nie will ich mit dem Väterwort
dich stören:
Dies brauchst du nicht, weil
ich es nicht besaß! –
Was immer meine Zeit auch
anders las,
Für deine sollst du keinen
Vorwurf hören.
Heilig der Jugend Recht, sich
zu empören!
Meist ist von edelstem Geblüt
ihr Haß,
Manch richtig Maß in ihrem
Übermaß,
Viel guter Sinn in ihrem
Selbstbetören.
Oft blieb dem Manne Reu und
Leid erspart,
Hielt er der längst verjährten
Knabenart,
Die man so gern belächelt,
beßre Treue.
Und ganz zuletzt, wenn erst
verbraust der Geist
Des Widerspruchs, merkt man ja
doch zumeist,
Wie neu das Alte und wie alt
das Neue.
1881 – 1932
Heut nachts erwacht’ ich jäh,
das Herz stand still!
Dann aber hub ein Hämmern, ein
Pochen,
So ungefüg, als würde eingebrochen
Im Purpurschrein des Lebens. –
Wie Gott will.
Es meint’ der Arzt zu mir: Du
rauchst zuviel,
Solch sinnlos Fröhnen bleibt
nicht ungerochen! –
Und hat mir lange weise
zugesprochen
Von meines Daseins Pflicht und
ernstem Ziel.
Du blauer Rauch, berauschendes
Umfließen,
Aus dem mir Ahnung und Gedanke
quillt,
So muß ich deiner spärlicher
genießen
Und ganz entsagen, wenn es
einmal gilt. –
Wärst nicht das erste duftende
Gebild,
Von dem ich habe Abschied
nehmen müssen.
1881 – 1932
O selig, starker Arme Werk zu
tun,
Ein Ding zu formen mit
gewandten Händen
Und jeden Tag ein Greifbares
vollenden
Und abends müde sein und
auszuruhn.
Es kann der Geist im Fertigen
von Schuhn
Tiefres Genügen finden und
Bewenden
Als in des Denkens höchsten
Gegenständen –
O selig, starker Arme Werk zu
tun!
Wir andern fügen fiebernd
Traum an Traum
Zum Babelturme schwärmender
Gedanken,
Im Geist schon ragend an den
fernen Saum
Goldener Wolken, und erkennen
kaum
Von des Gerüstes allerhöchsten
Planken
Die liebe Erde, Menschen, Tier
und Baum.
1881 – 1932
I.
Wie Freunde sich nur
allzuleicht entzwei’n
Durch Weiberränkespiel – und
tausendfach
Geschieht dies zu der Männer
Not und Schmach! –
So leicht der Erde fremd wird
Menschensein.
Dir, aufgewachsen zwischen
Häuserreihn,
Ist Element nur lästig
Ungemach,
Regen und Wind nur Anlaß für
ein Dach
Und bloß Beleuchtung Mond und
Sonnenschein.
Daß Hagel wüstete in voller
Saat,
Daß Frost der Trauben süßes Gut
verbrannt,
Weißt du vom Preis, den Wein
und Brotfrucht hat,
Und ahnst ihn kaum, der jeden
Stock gekannt
Und rauher Hand die erde
aufgepflügt,
Die Erde, die sein Tagwerk oft
betrügt.
II.
Und doch ist sie nur sein, die
Erde, sein!
Nicht dein, du Buhler, der sie
bloß besucht,
Wie man durch Zufalll
einkehrt, auf der Flucht
Aus lärmenden Getriebes Gier
und Pein.
Und was du schwärmend träumst
in sie hinein,
Ist eitel Nichts, gemessen an
der Wucht,
Die keinen andern Segen kennt
als: Frucht!
Und keinen Fluch denn:
Mißwuchs, Unkraut, Stein!
Nur jenem frohnt sie, der mit
hartem Stoß
Ihr täglich neue Muttermünder
schafft
Und sie besamt mit seines
Lebens Saft:
Mit Schweiß und Blut! Nur ihn
erfreut ihr Schoß!
Für Schwärmers spielerischen
Zeitvertreib
Verweigert sie den Ernst
gewohnten Leib.
1881 – 1932
Heut ist der Tag vom
Lerchentrillern licht.
Es glänzt empor wie silberne
Fontänen,
Zerglüht, zersprüht in lauter
Freudentränen,
Netzend des Frühlings blühend
Angesicht.
Und mir entformt Gedicht sich
um Gedicht!
So wollte einst des Jünglings
Geber-Sehnen
Mit Gut der Seele Weib und
Welt belehnen;
Doch Welt blieb kalt, und auch
das Weib kam nicht.
Heut freilich lohnt bisweilen
Widerklang
Des Mannes herbgewordenen
Gesang
Und auch aus Frauenblick grüßt
manches Glänzen.
Doch ich bin längst mir selber
angetraut,
Lausche befreit der Lerchen
lichtem Laut
Und bin für jene jenseits
aller Grenzen.
1881 – 1932
In schwerer Krankheit rief der
Herr mich an:
Was war mit dir, eh ich dich
so gefunden?
Was wirktest du mit den
geliehnen Pfunden?
Gib Rechenschaft, was dir dein
Mühn gewann! –
Da wuchs um mich ein großes
Schluchzen an
Von blassen Schatten
abgeschiedner Stunden,
In denen ich gewollt und nur
empfunden
Und nichts von dem Empfundenen
getan.
Und plötzlich ward
Unendlichkeit der Raum,
Mein Liegen Schweben, und ich
sah die Meere,
Die Flüsse frachten, sah mit
Korn und Beere,
Mit Früchten trächtig Acker,
Kraut und Baum,
Und sah und wachte auf aus solchem Traum
Und hub ein Singen an zu
Gottes Ehre.
1881 – 1932
Manchmal befällt mich’s, daß
ich denken muß,
Ich stürbe bald und ließe
ungetan
mein Werk zurück, zu dem ein
strenger Plan
Mich rastlos drängt nach höherem
Beschluß.
Nur dies, nicht eitel Haschen
nach Genuß
Klammert mich fest an dieses
Leben an,
Das, zwischen Nichts und
Nichts, ein schwanker Kahn,
Rasch übersetzen darf der
Dinge Fluß.
Der ist zu sehr bewegtes
Element,
Um, was nicht Licht ist,
spiegelnd festzuhalten.
Nur, was sich flammenhaft vom
Fleische trennt
In schmerzlichem und betendem
Gestalten,
Vermag als unser Bildnis
fortzuwalten.
Was leuchten soll, muß dulden,
daß es brennt.
1881 – 1932
Tu, was du tuest, für die
Ewigkeit
Und immer so, als wenn’s dein
Letztes wäre!
Leicht löste schon der Tod für
dich die Fähre
Vom dunklen Ufer der
Unendlichkeit.
Was wär’ dein Werk, wenn es
nur für die Zeit,
In der du lebst, und für das
bißchen Ehre,
Das es dir bringen mag,
geschaffen wäre?
Sein Anteil würde bald
Vergessenheit.
Auch müßte dich ein jedes
Unverstehen
Wie einen schlechten Mimen
gleich verbittern,
Lerntest wie er vor deiner
Mitwelt zittern,
Statt ihr als einem Schauspiel
zuzusehen,
Das Gott dir gibt, daß du dem
Menschengeist
Durch die Jahrhunderte Sein
Zeuge seist.
1881 – 1932
Der Zug der Wolken mahnt mich
an den Tod.
Sie wandern von den Meeren her
in Heeren
Und müssen zu den Meeren
wiederkehren –
So kommt und geht der Menschen
Aufgebot.
Wolke ist spielend Kind im
Morgenrot,
Wird Dunkel, Licht, Erhören
und Verwehren,
Ist Schwül und Kühl, Zerstören
und Vermehren –
So auch der Mensch: Hold,
Unhold, Brot und Not.
Und all dies nur für einen
Augenblick,
Solange er, vom süßen Licht
beschienen,
Sich rühren, wirken darf,
beherrschen, dienen,
Treibend und doch getrieben
vom Geschick.
Dann kommt die Nacht, sein
Umriß geht verloren,
Und neue Menschen werden neu
geboren.
1881 – 1932
II.
In wilden Fiebernächten stand
das Leben
An meinem Bett und hielt die
kühlen Hände
An meine Stirn, um die die
wirren Brände
Bunter Gesichte zuckten.
Aufzuschweben
Schien schon die Seele mir.
Anheimgegeben
Der Schwere lastete der Leib. Die
Wände
Des Raumes zersanken in das
All. „Das Ende!“
Schrie eine Stimme, furchtbar
zum Erbeben.
Doch jener Geist, der lächelnd
ungetrübte,
Der mich mit seinen
Marmorfingern kühlte,
Neigte sich mir, in dem die
Nacht schon wühlte,
Und lispelte dem todverzückten
Ohr:
Noch einmal will ich dein
sein, dumpfer Tor,
Tust du in dieser Stunde ein
Gelübde ...
1881 – 1932
Ein Wintersonntag, traute
Abendneige,
Da kommen Freunde zur Musik
ins Haus.
Schon packen sie die
Instrumente aus,
Ich höre heut’ nur zu und
träum’ und schweige.
Ans Fenster pocht gefrorenes
Gezweige,
Im Ofen summt gedämpftes
Sturmgebraus.
Nun wählen sie ein Stück von
Mozart aus,
Mein Ältrer spielt statt mir
die erste Geige.
Wie er die Geige nimmt, die
Geige hält!
Seh’ ich mich selbst im Traum?
Sind diese herben
Und klaren Töne nur von ihm
beseelt?
Fühlt dies ein Kind? Kann man
sich so vererben?
Da weiß ich tief: Musik bleibt
in der Welt,
Musik aus meinem Blut! Und
ruhig darf ich sterben.
1881 – 1932
So lege du die Hand um meine
Schläfen
Und sage meiner Wachheit: Geh’
zur Ruh’ –
Und sage mir: Kind, schließ
die Augen zu,
Ich wiege dich, ein Strom, in
stille Häfen.
Dort weißt du nichts von dir:
nicht, daß du bist,
Nicht, daß du wünschest, nur
Erfüllung!
Aus deines Denkens brennender
Umhüllung
Sinkst du in Kühle, die
erquickend ist.
Und wachst du wieder auf, so
war es ich,
Der Strom, die Häfen und die
große Stille.
Und immer wieder treibt, ein
Kahn, dein Wille
In meine Buchten ein, in Gott,
in mich!
Und lockt es wieder dich zu
fremden Fahrten,
Zieh aus! Ich bin die Heimat,
ich kann warten.
1881 – 1932
Du nennst mich Freund! Ich
geb’ das Wort zurück –
Doch, liebe Freundin, laß uns
nicht vergessen:
Nicht Geist allein ist
Menschen zugemessen,
Er ist nur Gottes Licht auf
Erdenglück.
In seinem Strahle hebt die
Tiernatur,
Von der’s Verhängnis wär’ sich
zu entfernen,
Den jäh bewußten Blick empor
zu Sternen
Und tastest dort nach Gottes
Wandels Spur.
Was trüber Seele nur ein dumpf
Verrichten
Leiblichen Müssens, dessen sie
sich schämt,
Im Zwielicht des Geheimnisses
verfemt,
Dem klaren Herzen ist es Scham
mit nichten.
Es hat durch Geist die
Dumpfheit überwunden
Und fühlt durch Erdenglück
sich Gott verbunden.